Kirchenchor singt sein letztes Gloria

Nach 119 Jahren löst sich der Kirchenchor Grosswangen auf. Trotzdem soll die Geselligkeit unter den Sängerinnen und Sängern auch in Zukunft gepflegt werden.

Am 24. Dezember um Mitternacht ertönen die Stimmen des Kirchenchors Grosswangen ein letztes Mal. Die zwölf Sängerinnen und die zwei Sänger werden im Weihnachtsgottesdienst mit viel Herzblut die «Petite Messe de Noel» singen. Kyrie, Gloria, Sanctus und Benedictus sollen von der Empore in den vollen Kirchenraum erschallen und für einen festlichen Gottesdienst sorgen. Wenn schliesslich die letzten Takte von «Stille Nacht» verklingen, sind dies zugleich auch die letzten Töne des Kirchenchors Grosswangen.

Der Kirchenchor bei der Probe zu seinem letzten Auftritt mit Präsidentin Rita Jordi vorne in der Mitte. Foto zVg

Es fehlt an Nachwuchs und Männern

Denn per Ende Jahr löst sich der Chor auf. Die Gründe sind die gleichen, die auch andere Gesangsvereine haben: fehlender Nachwuchs. Im Grosswanger Chor mangelt es zudem an Männern. Bassstimmen fehlen gänzlich, zwei singen noch Tenor, unterstützt von einer Frau. Rita Jordi, 75-jährig und langjährige Präsidentin des Kirchenchors, sagt, die schlechte Stimmverteilung mache das Singen nicht mehr gleich attraktiv. Dreistimmige Literatur sei nicht so vielfältig, so habe man in den letzten Jahren immer wieder die gleichen Stücke gesungen. 

Mit einem Altersdurchschnitt von 71 Jahren ist der Verein überaltert, das jüngste Mitglied 58 Jahre alt, das älteste 83. Schon lange gab es keine Neumitglieder mehr, die länger im Verein verblieben. Sinnbildlich sind alle aktiven Sängerinnen und Sänger Ehrenmitglieder – und damit schon mindestens 15 Jahre dabei. Nachdem in den letzten Jahren einige Mitglieder verstarben, sei das Prob­lem immer akuter geworden. «Männer getrauten sich fast nicht mehr, während den Proben in die Ferien zu gehen, weil ihre Stimme dann fehlte», sagt Rita Jordi.

Für jüngere sei der Chor wohl zu wenig attraktiv, und eher kirchenkritische Leute würden nicht einem Kirchenchor beitreten. Tatenlos zugesehen habe man aber nicht. Nebst Werbung im Bekanntenkreis und bei Neuzuzügern habe man gehofft, mit dem Projektchor Rottal Neumitglieder zu gewinnen. Alle zwei Jahre wird dieser als temporärer Chor geführt mit einem grossen Konzert. Über 100 Leute machten 2022 mit, auf alle Stühle habe man bei der letzten Probe einen Werbeflyer gelegt, sagt Rita Jordi. «Doch es gab nicht eine einzige Reaktion.» Nachdem dann auch die Idee eines Pastoralraumchors nicht verfing, beschloss der Chor an einer ausserordentlichen GV im Juni 2024 das Unausweichliche – die Auflösung – einstimmig. «Denn so weitermachen macht nicht mehr wirklich Freude.» In den Worten von Rita Jordi schwingt Wehmut mit, aber auch Erleichterung. «Es ist gut so, wie es nun ist.»

1905 als Cäcilienchor gegründet

Der Chor hat eine lange Geschichte, wurde 1905 als Cäcilienchor gegründet, später dann auf Kirchenchor umgetauft. In den Anfängen wuchs er bis auf 60 Mitglieder an. Auch damals waren schon viele Frauen dabei, sagt Rita Jordi, die für das 100-Jahre Jubiläum das Archiv durchforstete. Frauen hatten früher nicht viele Möglichkeiten für den Ausgang, der Kirchenchor war eine davon. So zeigen die frühen Aufzeichnungen, dass im Chor öfters mal bis morgens um 4 Uhr gefeiert und gefestet wurde.

Eine Aufnahme des Kirchenchors Grosswangen von 1928. Foto Archiv, zVg

Der Blick ins Archiv zeigt auch, wie man bei der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft Rücksicht nahm auf das weibliche Geschlecht. Während Männern diese nach 20 Jahren zufiel, erlangten sie Frauen schon nach 15 Jahren. Denn bekamen sie Kinder, fehlten sie eine Weile im Chor. Die Regelung ist bis heute geblieben, wie Rita Jordi mit einem Schmunzeln erzählt. Sie selber ist schon seit 1977 im Chor dabei, seit 22 Jahren dessen Präsidentin. Aus Emmenbrücke stammend, kam sie als Lehrerin nach Grosswangen, wo sie 36 Jahre unterrichtete und in der Gemeinde «hängenblieb».

Nebst Singen viele gesellschaftliche Anlässe

Schöne Erinnerungen an die lange Zeit im Chor hat Rita Jordi viele. Ein besonderes Highlight war das grosse Jubiläumskonzert 2005, als man mit dem Kirchenchor Nottwil zusammen auftrat und in der Pfarrkirche Grosswangen die Theresienmesse sang, begleitet von einem Orchester. Auch sonst gab es verschiedene gemeinsame Auftritte mit anderen Chören oder auch mal einen auswärtigen Auftritt in Luzern oder Sursee. Immer wieder war der Chor auch gesellschaftlich unterwegs. Mehrtägige Reisen führten nach Sizilien, Rom oder Berlin. Als die Mitglieder älter wurden, habe man eher tägige Ausflüge organisiert, so diesen Sommer auf den Moléson und nach Gruyère. Alle hätten sich nochmals gefreut über den letzten offiziellen Ausflug, die Stimmung sei «quitschfidel und lustig» gewesen, erinnert sich Rita Jordi.

Mitglieder wollen sich auch in Zukunft treffen

Das Gesellige ist im Chor ebenso wichtig wie das Singen, der Beizenbesuch nach der Probe gehört dazu. Das hat die Mitglieder auch veranlasst, den Verein per Ende Jahr zwar aufzulösen, sich aber auch in Zukunft weiterhin zu treffen. An der letzten GV wurde ein Jahreskalender von 2025 herumgereicht, für jeden Monat habe sich jemand eingetragen, der eine Zusammenkunft organisiere, sagt Rita Jordi freudig. Schon im Januar ist das traditionelle Dreikönigskuchenessen geplant, vor Ostern ein Eiertütschen, im Sommer ein Ausflug. An runden Geburtstagen werden die Sängerinnen und Sänger weiterhin zusammenkommen. Nicht nur da wird gesungen, einige Frauen sind weiterhin auch im Frauenchor Grosswangen aktiv. Auch andere Chöre würden Neumitglieder mit offenen Armen empfangen, lacht Rita Jordi. 

Ein letztes Mal zum Singen als Kirchenchor  treffen sich die Mitglieder und die Dirigentin Ende Dezember bei einem Sängerpaar zu Hause, wo unter dem Christbaum Weihnachtslieder gesungen werden.