Anzeiger vom Grüntal

Der November kennt nur zwei Farben. Ausnahmsweise wie soeben mal kurz weiss, häufig aber grau. Da passt mein Geburtsmonat doch gut zu mir. Denn: ich bin farbenblind! Ein wenig zumindest. Oder genauer: Ich habe eine Rot-Grün-Sehschwäche. Doch kein Grund zur Panik – es ist weniger schlimm als es tönt. An der Ampel stoppe ich meist wenn nötig, esse keine unreifen Erdbeeren und trage selten verschiedenfarbige Socken. Etwas schwierig wird es bei Kontrasten mit dunklen Farben. Kleingedrucktes mit roten Buchstaben zwischen den schwarzen Lettern. Oder Grafiken mit vielen ähnlichen Grüntönen. Hier stehe ich schon mal an, helfe mir mit Vergrösserung oder frage bei den Kollegen nach. Mit meinem Handicap bin ich nicht allein: gemäss Statistik haben rund zehn Prozent aller Männer eine ähnliche Sehschwäche. Frauen dagegen nur wenige, da es sich um einen Gen-Defekt auf dem männlichen X-Chromosom handelt. Betroffene sind im Alltag kaum beeinträchtigt, entdeckt wird die Störung oft erst zufällig bei einem Sehtest. 

Zum Piloten oder Grafiker hätte es mir bei der Berufswahl wohl nicht gereicht. Bei meinem Vorstellungsgespräch auf der Redaktion dieser Zeitung war meine Farbschwäche jedoch kein Thema. Zum Glück. Schliesslich trägt mein Arbeitgeber ja sogar eine Farbe im Namen. Für mich könnte er genauso gut «Anzeiger vom Grüntal» heissen, ich würds nicht merken. Doch Farben spielen bei mir trotzdem eine wichtige Rolle. Als Journalist weiss ich, dass man gut daran tut, die Welt nicht in Schwarz-Weiss einzuteilen. Ich bin zwar nicht mehr grün hinter den Ohren, war dafür aber schon mal blau. Und statt gelb vor Neid zu werden, blicke ich gerne mal durch die rosarote Brille. Mein Leben ist also trotz Sehschwäche ziemlich bunt. Denn so ganz ohne Farben, das wäre ja grau… sam.

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