In Ruswil wird die Erdgasleitung gesteuert, die quer durch die Schweiz verläuft. Die Abwärme beim Gasverdichten heizte einst das Tropenhaus Wolhusen, in den letzten Jahren floss kaum noch Energie in die Gewächshäuser. Schuld daran ist auch der Ukraine-Krieg.
Zahlreiche Bildschirme leuchten auf, gefüllt mit farbigen Tabellen und Überwachungskameras. Auf einer grossen Anzeige überziehen Linien die Wand wie ein Strickmuster. Mit ruhiger Stimme quittiert ein Mitarbeiter Telefonanrufe, schliesst per Knopfdruck Schieber 35 und begrüsst einen Kollegen mit einem lockeren Spruch.

Die Kommandozentrale ist rund um die Uhr besetzt. Gas fliesst nicht nur zu Bürozeiten, sondern auch in der Nacht. Dafür verantwortlich ist die Firma Transitgas. Sie betreibt von Ruswil aus eine Leitung, die von der Nordschweiz und Frankreich durch die Alpen bis nach Norditalien führt. Ziemlich genau in der Mitte befindet sich die Anlage Horüti, versteckt etwas oberhalb der Strasse zwischen Wolhusen und Buholz. Rund 40 Mitarbeitende überwachen von hier aus die Leitung, planen den Gastransport und unterhalten das Leitungsnetz. Bei Bedarf schalten sie die riesigen Turbinen ein, um das Gas zu verdichten.
Ein riesiger Wurm im Boden quer durch die Schweiz
Florian Linder ist technischer Leiter bei der Transitgas und führt den Besucher durch die eindrückliche Anlage – ein System aus Röhren, Ventilen und mächtigen Gebäuden. Die Bemerkung, es sehe aus wie bei James Bond, quittiert der Deutsche mit einem Lachen: «Das hören wir immer wieder.» Denn in einem Bond-Film jagte der Agent einst wie in einer Rohrpost durch eine Gasleitung und liess sie in die Luft fliegen. Von solchen Spielereien ist man hier weit entfernt. Sicherheit wird grossgeschrieben. Schliesslich geht es um eine kritische Infrastruktur in der Energieversorgung. 1971 gebaut, später erweitert, transportiert die Leitung Erdgas auf der Nord-Süd-Achse durch die Schweiz. 290 Kilometer lang, 1.20 Meter im Durchmesser, liegt sie wie ein riesiger Wurm im Boden. Sichtbar sind nur die orangen Tafeln, die überirdisch ihren Verlauf anzeigen. Sie signalisieren, dass in der Nähe nur mit hohen Auflagen gebaut werden darf. Alle zwei Wochen kontrollieren Mitarbeitende das gesamte Leitungsnetz, zu Fuss, per Fahrzeug oder aus der Luft mit dem Helikopter. Sie prüfen die Landschaft auf Veränderungen oder nicht angekündigte Bauprojekte, sie sind in Kontakt mit Landbesitzern und planen Revisionsarbeiten.

Während die Leitung im Mittelland 1.5 Meter bis 2 Meter unter der Erdoberfläche liegt, führt sie Richtung Süden tief im Felsen durch die Alpen. Im Entlebuch quert sie in einem langen Stollensystem das Brienzer Rothorn, später das Grimselmassiv und führt dann auf rund 2400 Meter Höhe unter dem Griespass an die italienische Grenze. Kaum eine andere Leitung in Europa habe so einen spektakulären Verlauf, sagt Florian Linder.
Die Überwachung des Netzes ist dafür ebenso aufwändig. Naturereignisse wie Steinschläge oder Überschwemmungen sind eine Gefahr für die Pipeline. Und wie ist es mit der Angst vor Anschlägen, so wie es der umstrittenen Nord Stream-Leitung im Meer erging? Die Antwort ist ausweichend. Alles abzusichern sei nicht möglich, sagt der technische Leiter. Doch auf vieles sei man vorbereitet. Schon kleine Lecks würden die Messgeräte sofort anzeigen. Etwa alle zehn Kilometer befinden sich Schieberstationen, um die Röhre bei Problemen zu schliessen. Auch wenn viele Szenarien geübt werden, seien grössere Störungen äusserst selten. Erdgas, das eigentlich geruchslos ist, wird extra mit einem Geruchsträger angereichert.
Krieg in der Ukraine stellte Gasflüsse auf den Kopf
Die Schweiz ist kein typisches Erdgasland. Später als in den Nachbarländern fand die Energieform Einzug in Haushalten und in der Industrie. Rund 80 Prozent des Erdgases durchfliessen deshalb die Schweiz im Transitverkehr. Etwa 20 Prozent verlassen die Pipeline und werden in die Netze der lokalen Energieversorger eingespeist. Mehrheitlich in städtischen Wohnungen wird damit geheizt, vereinzelt auch noch gekocht. Die Industrie braucht es für spezialisierte Prozesse mit hohem Energiebedarf, etwa zum Schmelzen, Härten oder Verformen.
Florian Linder zeigt auf eine Karte, wie sich ein fein verästeltes Netz von Pipelines über ganz Europa zieht. In der Vergangenheit kam viel Gas aus Russland und der Nordsee, wo es quer durch Europa und durch die Schweiz nach Norditalien floss. Der Krieg in der Ukraine stellte die kontinentalen Gasflüsse auf den Kopf. Die Embargos gegen russisches Erdgas stellte die abhängigen Länder vor grosse Herausforderungen. Sowohl Deutschland wie auch Italien erschlossen andere Quellen, Frankreich importierte mehr Flüssiggas auf Schiffen. Die Mengen durch die Schweizer Transitgasleitung gingen stark zurück. Flossen vor 20 Jahren noch rund 190 Terrawattstunden Gasenergie jährlich durch die Leitungen, sind es seit 2022 noch rund die Hälfte. Verändert hat sich auch die Saisonalität. Der Erdgastransport findet nicht mehr mehrheitlich in den Wintermonaten statt, sondern wegen den grossen Preisschwankungen oft auch im Sommer, wenn damit grosse Gasspeicher aufgefüllt werden.
Kaum mehr Wärme für das Tropenhaus
Mit diesen Erklärungen geht der Blick auf der Führung über das Gewirr an Rohren ins Grüne, wo in einem Kilometer Entfernung das Glasdach des Tropenhaus Wolhusen aufblitzt. 2010 war es als grosse Innovation eröffnet worden, nachdem der Transitgas auferlegt wurde, die Abwärme bei der Verdichtung besser zu nutzen. Dabei kommt das eigentliche Herzstück der Transitgas-Anlage Horüti ins Spiel, die sogenannte Verdichterstation. Ein Koloss von einem Gebäude, deren Kamine 32 Meter in den Himmel ragen. Darin versteckt sind grosse Gasturbinen, ähnlich wie sie auch in Flugzeugtriebwerken vorkommen. Rotieren Sie mit 20 Megawatt Leistung, können sie bis zu 1.8 Millionen Kubikmeter Gas pro Stunde verdichten. Über einen Wärmetauscher wird Warmwasser produziert, ebenso Dampf, der über eine Dampfturbine Strom erzeugt. Für die Kondensierung im geschlossenen Wasserkreislauf braucht es riesige Ventilatoren, die senkrecht über der Anlage stehen und für Kühlung sorgen.

In Richtung Tropenhaus fliesst jedoch nur noch selten warmes Wasser. Denn die Maschinen für die Gasverdichtung, welche die Abwärme produzieren, werden wegen der veränderten Gasströme in Europa mittlerweile selten in Betrieb genommen. Wird weniger Gas transportiert, fliesst es auch ohne zusätzliche Verdichtung durch die Pipeline, der Abzweiger durch die grossen Maschinen ist nicht nötig.
In den Jahren 2021 und 2024 floss da-rum kein einziger Tropfen Warmwasser in die Gewächshäuser. Das Tropenhaus musste auf Heizöl umstellen, später dann auf eine Pelletheizung (wir berichteten). Seit Anfang Jahr ist das Tropenhaus geschlossen, die hohen Heizkosten dürften mitverantwortlich sein.

Florian Linder bedauert, dass die ursprüngliche Idee, ein «Abfallprodukt» sinnvoll zu nutzen, nicht mehr funktioniert. Ob sich dies dereinst wieder ändere, sei ungewiss. Denn die Gasflüsse seien in der aktuellen Lage viel weniger konstant, zudem fliesse weniger Gas in den kalten Wintermonaten. Wegen diesen Rahmenbedingungen «sind wir leider kein verlässlicher Partner mehr für das Tropenhaus», sagt er. So ist das einstige Vorzeigeprojekt in Wolhusen wohl zu einem Opfer der Geopolitik geworden.
In Zukunft könnte Wasserstoff durch Rohre fliessen
Auch das Unternehmen Transitgas rüstet sich für Veränderungen. Zwar wird Erdgas noch einige Zeit ein wichtiger Bestandteil der Energieversorgung bleiben, doch die Mengen des fossilen Rohstoffs nehmen ab. Das riesige Leitungsnetz könnte dereinst aber auch für andere Energieträger genutzt werden, etwa für Wasserstoff. Bei Transitgas und den grossen Firmen im Ausland gibt es bereits erste Pläne dazu.
Zurück im Kommandoraum geht es nicht um die ferne Zukunft. Hier werden täglich Gas-Bestellungen entgegengenommen und Millionen von Kubikmetern durch die Leitungssysteme geschickt. Dass die Aufgabe spezieller ist als die eines Lastwagen-Disponenten, zeigt sich, als der Mitarbeiter für den Fotografen posieren soll. «Lieber nicht, ich will nicht gekidnappt werden», sagt er mit einem breiten Grinsen. Es weht eben doch ein Hauch von James Bond durch die Gas-Anlage.