Das Kreativlokal in der Kurve

Im Atelier Auszeit von Liane Winters können Gäste an der Kunstwelt schnuppern und unter Anleitung eigene Bilder malen. Die Eröffnung verzögerte sich um rund vier Monate, verantwortlich ist die spezielle Lage des Lokals.

Am vergangenen Samstag standen die Türen des Atelier Auszeit allen Interessierten zum ersten Mal offen. Geplant war der «Tag der offenen Tür» bereits Anfang Dezember. Doch nur ein paar Tage vorher wurde die Kurve und eine schneebedeckte Fahrbahn einem Autofahrer zum Verhängnis. Er donnerte mit seinem Auto mitten in der Nacht frontal ins Lokal und zerstörte Tür und Eingangsbereich. Es folgten Aufräum- und Reparaturarbeiten und fast vier Monate später der zweite Anlauf für die Eröffnung. Wo vorher viele Jahre ein Coiffeur-Salon eingemietet war, präsentieren sich nun bunte Kuh-Bilder, ein freundlicher Raum mit weiss getünchten Wänden und eine strahlende Künstlerin: Liane «Lilly» Winters hat sich mit dem Lokal in der Hellbühler  «Schulhaus-Kurve» einen grossen Wunsch erfüllt. Sie nutzt ihn als kreativer Ort für ihre eigenen Kunstwerke und will zugleich Gäste inspirieren, vorbeizukommen und eigene Kunstwerke anzufertigen.

«Raum ist eine glückliche Fügung»

Der Raum sei eine glückliche Fügung, sagt Lilly Winters, die oft daran vorbeifuhr und gleichzeitig auf der Suche war nach einem Atelier. Die 55-Jährige Maschinenbauingenieurin wohnt mit ihrer Familie in Emmenbrücke und arbeitet in der Zahnarztpraxis Kuhnert in Ruswil, die ihr Mann führt. Nebst ihrer Arbeit dort als «Mädchen für alles» – sie übernimmt viele Administrations- und IT-Aufgaben – ist sie als Künstlerin tätig. Es sei lediglich ein Hobby, sagt sie lachend, doch eines, dass sie nach einer längeren Kreativpause nun wieder mehr betreiben wolle. Dazu passe ein eigenes Lokal, das ihr zum Malen diene und wo auch mal spontaner Besuch vorbeikomme. Die Atmosphäre habe ihr von Anfang an sehr gepasst: «Ich fühle mich sehr wohl im Raum». Und trotz des vielen Verkehrs von der Hauptstrasse sei es drinnen ruhig und gemütlich.

Einiges von der Einrichtung des Coiffeursalons hat Winters beibehalten wie die Raumtrenner oder Gestelle an den Wänden. Anderes kam aus dem Brocki dazu. Das metallene Gestell einer alten Nähmaschine ist umfunktioniert zu Tischbeinen. In alten Holzkisten warten zahlreiche Farben auf den Einsatz. Und eine Staffelei vom Flohmarkt dient als Bilderhalter. Hinter einer Wand ist der Platz für «Schmutzarbeiten», hier stehen schmale Gipsskulpturen, die auf einen Anstrich warten.

Ein Atelier für Gäste

Im Atelier will Lilly Winters nicht nur ihre eigenen Kunstwerke anfertigen und ausstellen. In ihrem «Gästeatelier» sollen Interessierte selber künstlerisch tätig werden. Sie erklärt: «Wer gerne einmal malen möchte und zu Hause nicht eingerichtet ist, kann zum Schnuppern vorbeikommen.» Im Atelier erhält man Platz, Farbe und Leinwand und kann loslegen, falls gewünscht auch mit Unterstützung von Lilly Winters. «Es braucht keine künstlerische Erfahrung, einfach Neugierde, etwas zu gestalten». Viele hätten zu Hause nicht den richtigen Platz zum Malen, nicht das richtige Material oder wollten vor Anschaffungen testen, ob Malen überhaupt das richtig sei. Wer will, erhält von ihr Tipps oder Übungen, so etwa gegen die «Angst vor der weissen Leinwand». Sie erklärt den Gästen auch, wie Farben gemischt werden können oder wie man ein Gefühl für Proportionen entwickelt.

Eigentlich könne jeder malen, sagt Winters. Abstrakte Darstellungen seien ein guter Einstieg, um den Umgang mit Farbe und Form zu üben. Auf den entstehenden Bildern suche sie mit den «Kunst-Lehrlingen» dann «spannende» Bereiche, die man ausbauen oder hervorheben könne. «Acrylfarbe lebt von Schichten, man kann Schicht um Schicht ergänzen und erzielt so spannende Effekte.» Wer schon eine Idee von einem konkreten Bild habe, könne auch gerne ein Foto von einem Objekt mitbringen.

Fixe Vorstellungen, wie oft Kunst-Inte­ressierte vorbeikommen, hat Winters nicht. Wer beispielsweise vier mal zwei Stunden komme, habe einen guten Einstieg und könne nach dieser Zeit meist schon ein Bild nach Hause nehmen. Der Unkostenbeitrag dafür richtet sich dann nach der Anzahl der Besuche und dem Materialverbrauch. Sie wolle jedoch nichts damit verdienen, sondern lediglich ihr Hobby mitfinanzieren und das Atelier besser auslasten.

Die Tiere mit nettem Blick und schönen Augen

Nebst einer Kunstwerkstatt ist das Atelier in Hellbühl auch eine kleine Galerie. Momentan hat der Künstler Thomas Portmann aus Sempach Station dort seine bunten, abstrakten Bilder ausgestellt. Auch das sei ursprünglich nicht so geplant gewesen, sagt Winters, doch fast alles sei möglich. Im Lokal hängen ihre eigenen Bilder. Auf vielen sind knallige bunte Kühe zu sehen. Winters lacht: «Die Kühe haben es mir angetan, seit ein Bekannter vor vielen Jahren mal ein Kuh-Bild bestellt hat». Die Tiere hätten einen netten Blick und schöne Augen. Auf Wanderungen habe sie oft Kühe beobachtet und fotografiert.

Doch Kühe sind nur eines von zahlreichen Sujets. Himmel und Berge faszinieren sie ebenso wie die abstrakten Farbstrukturen. «Malen ist für mich eine Art Tagebuch der Gefühle». Es sei entspannend und helfe ihr, eine Stimmung loszuwerden.

Ihre künstlerische Ader lebte Winters schon in der Schule aus, als sie zahlreiche Kunstkurse besuchte – damals noch in Deutschland. Seit 2004 lebt sie mit ihrem Mann und Tochter in der Schweiz und hat immer mal wieder eine Ausstellung realisiert und Malkurse belegt. Auch beim mittlerweile verstorbenen Ruswiler Markus «Chöschu» Kaufmann war sie viele Jahre in der Zeichenschule. Nun will sie andere für die Kunst inspirieren und hofft, dass ihr Angebot Anklang findet. Damit ihr Interessierte schon bald die Türen einrennen – diesmal nur im übertragenen Sinne.