Wenn sich am 21. April der FC Lugano und der FC Luzern im Cup-Halbfinal gegenüberstehen, verfolgt Franco Tamburini diesen Match mit besonderem Interesse. Vor 70 Jahren stand er als Verteidiger selber auf dem Platz und schaffte es mit dem FC Lugano bis in den Cupfinal.
Viele Erinnerungen an Cupfinal
An den Final 1952 erinnert sich der 96-Jährige immer noch lebhaft: «Es war eine grosse Aufregung. Vor dem Spiel kam ein Bundesrat – an den Namen erinnere ich mich leider nicht mehr – und gab uns allen die Hand. 32000 Zuschauer im Wankdorf-Stadion sorgten für eine tolle Stimmung.» Auch das Spiel hat Franco Tamburini noch gut präsent: «Nach 5 Minuten gab es im Strafraum ein klares Foul gegen uns. Schiedsrichter Rapin – es war sein allerletztes Spiel, – pfiff aber nicht.» Er ist überzeugt, «wenn wir da per Penalty das 1:0 erzielt hätten, gewinnen wir diesen Match!» Kurz darauf fiel dann «ein blödes Tor», Eduard Berbig erzielte per Kopf die Führung für GC. Und das 0:2 in der 41. Minute fiel nach einer abgewehrten Flanke von ihm: «Ich wurde überspielt und unser Libero stand zu hoch. So war ich mitverantwortlich für das Gegentor. Das fuxte mich noch lange.» Die letzten 20 Minuten habe Lugano nochmals alles nach vorne geworfen und GC nur noch verteidigt. «Goalie Thomas Preiss hat aber alle Schüsse abgewehrt.» So musste Franco Tamburini mit dem FC Lugano als Verlierer vom Platz. Die Enttäuschung war gross: «Dem verlorenen Final habe ich noch Jahre nachgetrauert.» Stolz auf die Leistung war er dennoch, und auch der Gegner habe ihren Kampfgeist bewundert: «Aldo Zappia von GC kam nach dem Spiel mit einem Ball zu uns und wollte von allen FC Lugano-Spielern eine Unterschrift darauf.»


Nach der Arbeit ans Spiel
Wer heute von einem Fussballer in der höchsten Spielklasse hört, denkt an einen Profi-Spieler. Damals war man vom Fussball als Hauptverdienst noch weit weg. Auch wer wie Franco Tamburini in der Nationalliga A spielte, ging daneben Vollzeit einem Beruf nach. «Beim FC Lugano hatten wir zweimal pro Woche Training, jeweils um 18 Uhr nach dem Arbeiten. Am Dienstag war meist Kondition, am Freitag Taktik-Training. Und am Wochenende ging es dann an ein Meisterschaftsspiel.». Viele Spieler arbeiteten am Samstag bis am Mittag. Für die Auswärtsspiele traf man sich um 14 Uhr und reiste am Samstag an, wenn das Spiel am Sonntag stattfand: «Wir fuhren immer mit dem Zug, es gab keinen Mannschaftsbus. Von Lugano bis nach Basel dauerte die Fahrt 4 bis 5 Stunden. Vom Sitzen auf den harten Holzbänken tat mir bei der Ankunft schon alles weh.» Eine Reise hat er noch in besonderer Erinnerung: «Einmal mussten wir an ein Spiel in La-Chaux-de-Fonds, da stand im Bahnhof der legendäre Zug «Rote Pfeil» bereit und fuhr mit uns ohne Umsteigen bis La-Chaux-de-Fonds. Für uns Spieler war das ein grosses Highlight!» In der auf 1000 Meter gelegenen Uhrenstadt lag zu diesem Zeitpunkt rund 20 Zentimeter Schnee. Den Platz habe man nicht vom Schnee geräumt, erzählt Franco Tamburini, sondern einfach mit einer Walze flachgepresst. «Nach einer Viertelstunde war die Schneeplatte voller Löcher. Für den Rest des Spiels konnte man nur noch hohe Bälle spielen.»
Und auch an ein Spiel gegen den FC Basel erinnert er sich besonders. Zu dieser Zeit weilte er im Militär-WK im Münstertal in Santa Maria. In der Nacht auf Samstag stand ein langer Nachtmarsch an, erst um 2 Uhr konnte er ins Bett. Übernachtet wurde im Stroh im lokalen Schulhaus. Dank einer Sonderbewilligung durfte er am Samstag früher abtreten und gelangte via Bellinzona mit dem Zug nach Basel. «Vor dem Spiel musste ich zuerst lange in die Massage, um meinen Muskelkater loszuwerden.»
50 Franken für einen Sieg
1926 in Lugano geboren, wurde ihm der Fussball nicht in die Wiege gelegt. «Eigentlich bin ich eher auf der Bocciabahn aufgewachsen. Darum spiele ich heute noch gerne.» Als Jugendliche hätten sie sich aber auf einem Platz in der Wohnsiedlung getroffen und Bälle gekickt. So entwickelte sich seine Freude am Ballspiel. Später fuhr er jeweils mit dem Velo den weiten Weg nach Melide, um dort bei den Junioren mitzuspielen. Es folgten Einsätze bei Noranco und der U21 von Lugano. Und in der Cupfinal-Saison 1952 dann das Debüt in der ersten Mannschaft des FC Lugano. Das erste Spiel war gleich ein Derby gegen Locarno. Franco Tamburini verhinderte zwei Tore per «Bicicleta» (Fallrückzieher) und wurde in Lugano gefeiert. Er erinnert sich: «Das Stadion war damals noch unten am See. Es hatte jeweils 5000 bis 6000 Zuschauer.» Nebst Lugano spielten damals auch Bellinzona, Locarno und Chiasso in der höchsten Liga, so gab es jede Saison mehrere Derbys. Bei so viel Erfolg auf seinen Verdienst angesprochen, schmunzelt der rüstige Senior: «Für jedes besuchte Training gab es zwei Franken. Und bei den Meisterschaftsspielen für ein Unentschieden 25 Franken und einen Sieg 50 Franken.»
70 Jahre verheiratet
Seinen Lebensunterhalt verdiente Franco Tamburini als gelernter Glaser und Einrahmer. Er war in Lugano für verschiedene Arbeitgeber tätig, arbeitete aber immer mal wieder auch in Luzern beim Glaser Weibel. Seine aus Emmenbrücke stammende Frau Hulda lernte er 1946 im Tessin kennen, als diese dort in einem Kolonialwarengeschäft arbeitete. Später half sie dann im Molkerei-Laden ihrer Mutter in Emmenbrücke mit. «Als Huldas Mutter schwer erkrankte, überzeugte sie mich Anfang 1952, doch zu ihr in die Zentralschweiz zu ziehen. Aus Liebe zu ihr sagte ich zu. So zog ich einen Monat vor dem Cupfinal nach Emmenbrücke. Ich wohnte also gar nicht mehr im Tessin, als ich für den FC Lugano im Final auflief». Seine Karriere beim FC Lugano beendete er nach seinem Wegzug und spielte fortan nicht mehr auf höchster Stufe Fussball. «Mit Beruf und Hausrenovation war ich genug ausgelastet».
Seine Frau und er waren 74 Jahre lang ein Paar, davon 70 Jahre verheiratet. Im Oktober 2020 starb Hulda im Alter von 91 Jahren. Seither wohnt Franco allein im unteren Stock seines 1993 selbst geplanten Hauses in Hellbühl. Im oberen Stock wohnt sein Sohn mit seiner Frau. Im Quartier kennt und schätzt man Franco Tamburini, der immer für einen Schwatz zu haben ist. Der begeisterte Pilz-Sammler und Maler ist interessiert und diskutiert gerne. Auch sportliche Betätigung ist ihm wichtig: nebst Velofahren ist er immer mal wieder auf einer Bocciabahn anzutreffen, aktiv oder als Zuschauer.
Herz schlägt für den FC Kickers
Und Interesse für Fussball? Noch immer verfolgt er im Fernsehen die Spiele des FC Lugano, noch mehr aber schlägt sein Herz für den FC Kickers Luzern. Nach seiner FC Lugano-Zeit spielte er mehrere Jahre beim legendären Verein im Tribschen-Quartier. Cup-Erinnerungen hat Franco Tamburini auch da: «Die Kickers waren eine Cup-Mannschaft. 1958 spielte ich im Cup gegen meinen vorherigen Verein Lugano. Wir verloren aber klar. Und einmal konnten wir im Cup mit dem FC Kickers gegen Zürich spielen. Der Match fand auf der Allmend statt, direkt vor der Meisterschaftspartie FC Luzern gegen Grenchen. Deshalb hatten wir fast 6000 Zuschauer.» Trotz einem Kopftor von Tamburini ging das Spiel 1:3 verloren.
Als Zuschauer im Kickers-Stadion trifft man ihn nur noch selten an. Das Anspiel um 17 Uhr sei zu spät für ihn, meint er gelassen, dann wenn man nach dem Spiel noch ein wenig plaudern wolle, werde es 22 Uhr, bis er zu Hause sei. Wenn er doch mal an ein Spiel geht, fährt der 96-jährige noch selber mit dem Auto nach Luzern. Und jubelt dort in alten Erinnerungen schwelgend den jungen Fussballern zu.