Maske, abgesperrte Bankreihen und Eingangskontrolle – Corona hat den Kirchenbesuch stark beeinflusst. Die Pfarreien reagierten kreativ auf die Einschränkungen, mit Online-Gottesdienst oder Freiluft-Anlässen. Nach der Pandemie zeigt sich: viele Veränderungen werden die Kirche nachhaltig prägen.
Was im März 2020 passierte, war auch für die Kirche unvorstellbar: Sämtliche Gottesdienste mussten während mehr als zwei Monaten abgesagt werden. Doch das war erst der Anfang: nach dem «Gottesdienst-Lockdown» kam es im Sommer 2020 zwar zu Lockerungen, bevor im Herbst die Zahl der Kirchgänger auf 50 begrenzt wurde. Weitere Einschränkungen folgten: Bankreihen absperren, Masken tragen im Gottesdienst, Singverbot, Türkollekte statt zirkulierender Opferkorb, freundliches Zunicken statt Friedensgruss – damit sollte der Verbreitung des Virus Einhalt geboten werden. Und ab September 2021 stellten schliesslich die Zertifikatskontrollen die Kirchen vor grosse Herausforderungen.
Mittlerweile sind die Corona-Massnahmen fast Geschichte, auch in den Kirchen sind seit März praktisch alle Schutzmassnahmen aufgehoben. Ist somit wieder alles wie gewohnt beim Gottesdienstbesuch? Unsere Zeitung hat nach Spuren gesucht, die Corona in der Kirche hinterlassen hat. Und für eine Bestandesaufnahme nachgefragt bei Gregor Illi, Pfarrer Hellbühl/Neuenkirch, bei Adrian Wicki, Leiter Pastoralraum Region Werthenstein und bei Kurt Zemp, Leiter Pastoralraum im Rottal.
Weniger Besucher als vorher
«Fast wieder Normalbetrieb», sagt Kurt Zemp auf die Frage nach der Anzahl Gottesdienstteilnehmenden. Wenn er in die Bankreihen der Kirchen in Buttisholz, Grosswangen oder Ettiswil blicke, seien diese wieder ähnlich gefüllt wie vor Corona.

Anders sieht dies Adrian Wicki, zu dessen Pastoralraum die Kirchen Ruswil, Wolhusen und Werthenstein gehören. Er zählt weniger Besucher als vor der Pandemie: «Diese Tendenz ist aber nicht neu, sondern war schon vor Corona da.» Die Krise habe diesen Trend nun einfach noch verstärkt oder beschleunigt, stellt Adrian Wicki fest: «Die Kirche ist, was die Anzahl Gläubigen im Gottesdienst betrifft, in der Krise zehn Jahre älter geworden.»

„Die Kirche ist durch die Pandemie zehn Jahre älter geworden.“
Adrian Wicki, Leiter Pastoralraum Werthenstein
Vor allem an Festtagen sei die Zahl der Kirchengänger aber nach wie vor hoch, wie Ostern oder Palmsonntag gezeigt hätten. Auch Gregor Illi, Pfarrer für die Pfarreien Hellbühl und Neuenkirch, sieht weniger besetzte Plätze im Gottesdienst: «Die Einschränkungen wirken wohl immer noch nach.» So hätten bei der beschränkten Besucherzahl einige auf den Gottesdienstbesuch verzichtet, und würden dies wohl weiterhin tun. Und er stellt eine «Teilung der Generationen» fest, so kämen weniger Familien regelmässig in die Kirche als vor der Pandemie.
„Die Einschränkungen wirken immer noch nach. Es kommen nun weniger Familien in die Kirche als vor Corona.“
Gregor Illi, Pfarrer in Hellbühl

Bedürfnis nach Gemeinschaft
Adrian Wicki erwähnt dafür andere gemeinschaftliche Formen, die vermehrt nachgefragt werden wie der Mittagstisch oder die Seniorenferien, die innert kurzer Zeit ausgebucht waren. Er glaubt, das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zusammensein habe durch die Krise eher zugenommen. Das stellt auch Gregor Illi fest: kirchliche Gruppierungen wie das Seniorenteam oder die Frauen- und Mütterorganisationen hätten an Bedeutung gewonnen und mit grossem Einsatz Beziehungsarbeit geleistet.
Online-Gottesdienst wird weitergeführt
Wie die ganze Gesellschaft war auch die Kirche gefordert, den Einschränkungen mit kreativen, neuen Ideen zu begegnen. Mit einer technischen Innovation war Ruswil sehr schnell. Kaum war der Gottesdienst-Lockdown da, war es bereits möglich, die Feiern per Internet zu empfangen. Adrian Wicki erklärt, Ruswil habe schon vorher die Gottesdienste ins Altersheim übertragen. Kurz vor Corona habe man die Technologie von Funk auf Internet umgestellt und eine neue Kamera angeschafft. «Durch diesen glücklichen Zufall mussten wir dann das Live-Streaming nur noch für die Öffentlichkeit freigeben.» Die Übertragung des Gottesdienstes wurde sehr geschätzt, wie die vielen positiven Rückmeldungen zeigten. Dadurch hätten sich auch Leute zugeschaltet, die sonst nicht oder nur selten Gottesdienste besuchen. Und die Statistik zeige, dass rund ein Drittel der Online-Zuschauer von ausserhalb des Rottals kamen. Adrian Wicki vermutet «Heimweh-Ruswiler» oder Personen mit speziellem Bezug zu einem Gottesdienst. Das Angebot wurde vor allem an Beerdigungen geschätzt, wenn Verwandte aus dem Ausland wegen den Einschränkungen nicht einreisen konnten. Vereinzelt habe man den Angehörigen auch eine Aufzeichnung der Beerdigung abgegeben. Auch in Buttisholz und Ettiswil sind seit Corona Gottesdienste via Bildschirm empfangbar. «Ich war eigentlich kein Fan von virtuellen Messen und glaube immer noch, dass das unmittelbare Erlebnis grösser ist als zu Hause am Computer», so Kurt Zemp. «Doch mittlerweile sehe ich es als sinnvolle Ergänzung. Einige ältere Personen haben sich daran gewöhnt und möchten es nicht mehr missen.»

Die Internet-Gottesdienste werden nach Corona weitergeführt. In Ruswil zählt man aktuell in den Gottesdiensten rund 50 bis 80 Zuschaltungen. Und oft sitzt wohl mehr als eine Person vor dem Bildschirm. Auch wenn Adrian Wicki betont, dass die virtuelle Messe den Kirchenbesuch nicht ersetzen könne, sieht auch er einen Gewinn: «Wir können die Gemeinschaft dadurch über geografische Grenzen hinweg erweitern. Und es können auch Personen teilnehmen, die in der Mobilität eingeschränkt oder krank sind.»
In Hellbühl hat man auf das Übertragen von Gottesdiensten verzichtet, weil laut Pfarrer Gregor Illi die 50 erlaubten Plätze meist ausgereicht hätten. Und in Neuenkirch wird der Gottesdienst seit längerem schon per Ton in die Vater Wolf-Kapelle übertragen, was zusätzliche Plätze schafft. Bleiben aus der Zeit der Einschränkungen werden dafür die Weihwasserspender in verschiedenen Kirchen, so auch in Hellbühl. Daran hätten sich die Besucherinnen und Besucher gewöhnt, sodass man diese vorderhand lasse, sagt Gregor Illi.
Feiern kleiner und individueller
Nicht nur technische Neuerungen, auch andere Formen der Feiern waren gefragt, um die Massnahmen einzuhalten. In Hellbühl hat man an den kirchlichen Feiertagen Ostern und Weihnachten die Kirche weniger gefüllt. Dazu wurden die Familienfeiern aufgeteilt auf mehrere Gottesdienste. Die Erfahrungen damit sind laut Gregor Illi positiv, die kleinere, ruhigere Atmosphäre sei geschätzt worden. Man könne sich vorstellen, die grossen Feiern auch zukünftig so zu gestalten.
Kleiner und individueller – diesen Trend bestätigt auch Pastoralraumleiter Adrian Wicki. Er erinnert sich an die Tauf-Erinnerungsfeier, die man nicht mehr im Gottesdienst, sondern separat am Samstagmorgen mit den Familien gefeiert habe, mit anschliessendem Zusammensein im Pfarrhausgarten. «Diese Form wurde von allen sehr geschätzt und werden wir auch zukünftig beibehalten», sagt Adrian Wicki. Ebenso die aufgeteilte Erstkommunionfeier. 2021 musste die Feier mit den 69 Kindern auf fünf Feiern aufgeteilt werden. Auch ohne behördliche Vorgaben habe man dieses Jahr entschieden, die Erstkommunionfeier mit 44 Kindern auf zwei Gottesdienste aufzuteilen.

„Wir haben neue Formate entwickelt wie eine Endloseandacht an Weihnachten. Auf so eine Idee wären wir vorher nie gekommen.“
Kurt Zemp, Leiter Pastoralraum Rottal
Ein spezielles Format, die «Endlosandacht», entwickelte man im Pastoralraum Rottal für Heiligabend 2020: während drei Stunden wurde die gleiche, 15-minütige Feier abgehalten. Familien kamen und gingen je nach Bedürfnis. Kurt Zemp sagt erstaunt: «Auf so eine Idee wären wir vorher nie gekommen. Doch die Resonanz war gut.» Unkonventionell waren zudem neue Lokalitäten: mit «Treffpunkt Stall» fanden im letzten Advent Feiern ausserhalb des Kirchenschiffs statt, mit viel positivem Echo. Die Feier an Allerheiligen verlegte man nach draussen auf den Friedhof. Das kam so gut an, dass Kurt Zemp über eine Fortsetzung nachdenkt.
Intimere Beisetzungen
Nachhaltig könnten sich auch Abschiedsfeiern verändern. So stellt Adrian Wicki fest, dass kleinere, familiäre Beisetzungen beliebter geworden sind als öffentliche mit sehr vielen Gästen. Und er glaubt, dass dies auch zukünftig von Angehörigen vermehrt gewünscht wird. «Früher getraute man sich das vielleicht nicht zu wünschen, mittlerweile ist es wegen Corona ein Stück weit normal, im kleinen Kreis Abschied zu nehmen.» Ähnliches bestätigt Kurt Zemp: «Es gab bei uns im kleinen Familienkreis einige sehr emotionale und ergreifende Abschiedsfeiern. Durch die fehlende Öffentlichkeit konnten sich Angehörige eher den Gefühlen hingeben, es war intimer und berührender.»
Nicht in den Gottesdienst, aber in die Kirche
Auch wenn es in der Corona-Zeit weniger Gottesdienstbesucher gab – die Kirche als Ort wurde weiterhin oft aufgesucht. Das spüren alle befragten Pfarreien. Adrian Wicki erwähnt, dass die Kirche Ruswil stark frequentiert wird und viel mehr Kerzen angezündet werden. Im Seelsorgeteam trägt man diesem Bedürfnis nach individuellen Kirchenbesuch Rechnung: «Wir versuchen, die Kirche so einzurichten, dass jederzeit eine gute Atmosphäre vorherrscht, wenn man sie untertags besucht.» So wolle man Räume schaffen, die jeder und jede besuchen kann zum Energie tanken oder Ruhe geniessen. Oder wie es Gregor Illi formuliert: «die Kirche soll für die Menschen wie eine Stube sein.»
Spannungen in der Gesellschaft aushalten
Die grossen Spannungen in der Gesellschaft, ausgelöst durch Massnahmen und die Impffrage, trafen auch die Kirche. Gregor Illi sagt, er habe versucht, mit diesen Spannungen umzugehen, Ansichten nicht zu werten, sondern die Gesellschaft zusammenzuhalten. «Wir haben uns immer gefragt: Wie können wir alle Meinungen berücksichtigen und allen, die wollen, den Gottesdienst-Besuch ermöglichen?» Auch Adrian Wicki musste sich Kritik anhören, vor allem betreffend Zertifikatspflicht. Die Hälfte der Gottesdienst-Angebote hielt man bewusst ohne Zertifikatspflicht und somit für alle zugänglich. Die Beurteilung der Massnahmen sei nicht Sache der Kirche, diese hätte sich möglichst gut damit arrangieren müssen, so Adrian Wicki. Trotzdem habe es ein paar Kirchenaustritte gegeben, begründet damit, dass sich die Kirche gegen die Massnahmen hätte wehren sollen. Kurt Zemp erklärt, dass die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen zu mehr Einsätzen in der persönlichen Seelsorge geführt hätten. So gab es wegen Homeoffice vermehrt Spannungen und Streit.

Planung kaum möglich
Auf persönlich schwierige Momente angesprochen erwähnt Gregor Illi den Umgang mit betagten Personen: «Die Isolation der älteren Personen war ja gut gemeint, um sie zu schützen. Trotzdem war es auch sehr schwierig, wenn diese im Altersheim keinen Besuch mehr empfangen durften. Das tat mir schon weh und war auch für die Angehörigen sehr schwierig.» Adrian Wicki erwähnt die aufwendige Organisation bei der Umsetzung der Massnahmen: «Im Lockdown war es fast am einfachsten. Aber nachher, mit Maximalzahl von 50, Maskentragepflicht, Zertifikatskontrolle war die nächste Woche kaum mehr planbar. Kurt Zemp war an Weihnachten 2020 selbst von Corona betroffen und musste nach aufwendiger Vorbereitung bei anderen Pfarreien um Aushilfe für den Weihnachtsgottesdienst anfragen.
Kirche wurde eher gestärkt
Mittlerweile scheint die Pandemie mit ihren Einschränkungen auch in der Kirche weit weg. Doch die Krise hat ihre Spuren hinterlassen. Einige davon sind durchaus positiv und werden die Kirchen in die Zukunft mitnehmen. «Die Identität der Kirche wurde gestärkt. Die Grenzerfahrung der Gesellschaft hat vielen gezeigt, dass es die Kirche braucht», hält Kurt Zemp fest. Ein Selbstläufer mit grossem Zuwachs wird die Kirche deshalb nicht. Die Kirche müsse noch mehr in die Beziehungspflege investieren, sagt Adrian Wicki. Und erklärt: «Kirche ist viel mehr als Sonntagsgottesdienst. Wir müssen neue Möglichkeiten schaffen, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Da muss die Kirche noch innovativer werden. Sie soll den Leuten nicht sagen, was oder wie sie glauben müssen. Aber sie soll sie unterstützen beim Suchen ihres persönlichen Weges.» Denn Glauben im Sinne von Halt und Hoffnung finden sei nach wie vor sehr gefragt, das zeige auch die aktuelle Ukraine-Krise. Auch Gregor Illi sieht die Krise als Chance. Zwar habe die «Institution Kirche» noch viele ungelöste Probleme. Doch das sei eine einseitige Wahrnehmung von Kirche: «Die Kirche als Beziehungsnetz hat in der Krise ihre Bedeutung gezeigt und geht eher gestärkt in die Zukunft.»
Eine bleibende Veränderung zeigt Adrian Wicki zum Schluss auf: «Die Zertifikatskontrolle haben wir nicht als Kontrolle, sondern als Empfangsdienst gestaltet und es auch so genannt. Es war für alle eine gute Erfahrung, die Kirchgängerinnen und – gänger am Eingang willkommen zu heissen, wir können uns eine Fortsetzung vorstellen. Und ich habe so auch einige neue Namen gelernt…»