Sein Einsatz kann Leben retten

Ertönt der Alarm auf seinem Natel, weiss Erwin Arnet, dass in der Nähe ein Mensch in Not ist. Als First Responder ist er vor Ort, bevor die Rettungskräfte eintreffen. Und hilft dabei oft auch den Angehörigen.

Erleidet ein Mensch einen Herz-Kreislauf-Stillstand, zählt jede Sekunde. Die Chance auf eine erfolgreiche Wiederbelebung sinkt laut Statistiken jede Minute um 10 Prozent. Rettungsorganisati-onen haben darum das System der «First Responder» (Erstantwortende) aufgebaut. Das sind ehrenamtliche Personen, die sich in der Nähe eines Einsatzortes befinden und bis zum Eintreffen der Rettungskräfte erste Hilfe leisten.

Der Buttisholzer Erwin Arnet ist seit 2019 als ausgebildeter Laienretter im Einsatz. Foto Stefan Schmid

Erwin Arnet aus Buttisholz ist ein solcher Ersthelfer. Seit 2019 stellt er sich in den Dienst der First Responder Zentralschweiz. Drei Mal ist er bisher zu einem Einsatz ausgerückt. Eine Wiederbelebung brauchte es bei keinem der Einsätze. Trotzdem erlebte er belastende Situationen. Was reizt den 56-Jährigen daran, jederzeit auf Abruf zu sein, Notsituationen anzutreffen und dabei keinen Rappen zu verdienen? «Ich sehe es als Dienst an der Gesellschaft. Die soziale Ader habe ich in mir drin. Ich bin jemand, der gerne hilft.»

«Etwa nach 5 Minuten ohne Sauerstoff entstehen erste Schädigungen am Hirn. Ist jemand rasch vor Ort, kann das sehr viel bringen.»

Und das Thema Sanität habe ihn schon immer interessiert, sagt Arnet. So absolvierte er seinen Militärdienst als Sanitäter. 25 Jahre war er Mitglied der Feuerwehr Buttisholz und lernte, in schwierigen Situationen richtig zu handeln. Und als vor drei Jahren das First Responder-Projekt gestartet wurde, meldete sich Erwin Arnet für eine Infoveranstaltung an und frischte seinen Reanimationskurs wieder auf.

Erster Einsatz bei einem Kleinkind

An seinen ersten Einsatz erinnert er sich noch gut. An einem Montag kurz nach dem Mittag ging der Alarm ein, Erwin Arnet fuhr so rasch wie möglich zum Einsatzort. Ein etwa 3-jähriges Kleinkind lag scheinbar leblos auf dem Sofa. «Ich habe rasch überlegt, was zu tun ist und wie ich das Kind für die Herzmassage auf eine feste Unterlage betten muss». Als er sich dem Kind näherte, stellte er erleichtert fest, dass es noch ganz oberflächlich atmete. Eine Beatmung war nicht notwendig. Gleichzeitig war die Situation für die Angehörigen sehr herausfordernd. Erwin Arnet half mit, die weinende Mutter und die Geschwister des betroffenen Kindes zu beruhigen. «Der Vater des Kindes war übers Telefon mit der Notrufzentrale verbunden», erinnert sich Erwin Arnet. Man habe ihnen immer mitgeteilt, wie nahe der Rettungswagen schon war, das sei eine wichtige Orientierung gewesen. Der Rettungsdienst war bald vor Ort und habe übernommen. «Als das Kleinkind zu Weinen anfing, war dies das erleichterndste Weinen, das ich je gehört habe», sagt Erwin Arnet. Mit dem Eintreffen der Rettungskräfte ist der Einsatz für den First Responder zu Ende. Er erhält keine weiteren Informationen, wie es dem Patienten nachher ergeht. 

Im Dorf kennt man sich

Es könne gut sein, dass man die betroffenen Personen kenne, sagt Erwin Arnet. Gerade wenn man in der Gemeinde aufgewachsen und verwurzelt sei. Er leitet seit vielen Jahren den Gemeindewerkdienst, war lange im Jodlerklub und hat in Buttisholz ein breites Beziehungsnetz. «Bei einem Alarm sieht man jeweils die Adresse des Notrufs. So wusste ich bei einem Einsatz, dass ich die Familie kenne und fragte mich auf der Fahrt im Auto, wer wohl der Patient sei.» Unterwegs habe er noch einen Defibrillator geholt, der aber glücklicherweise nicht zum Einsatz kam. Die Person im Pensionsalter atmete wieder und war ansprechbar. Auch da war die Anwesenheit von Arnet für die Angehörigen eine Beruhigung. «Ich musste nur beobachten und gut zureden.» Die Aufgabe der First Responder beschränke sich denn auch klar auf Wiederbelebungsmassnahmen, so Arnet. «Wir verabreichen keine Medikamente oder ähnliches». Das übernehme dann der Rettungsdienst. Die Angehörigen hätten sich aber nachher nochmals bei ihm gemeldet und sich bedankt, das sei eine schöne Anerkennung: «Mehr brauche ich nicht». Die Einsätze sind ehrenamtlich und werden nicht abgegolten. Auch den notwendigen Kurs, der alle zwei Jahre wieder aufgefrischt werden muss, zahlen die Freiwilligen selber.

Umgang mit Trauer und Tod

Nicht immer enden Einsätze glimpflich. Erwin Arnet erinnert sich: «Ein Alarm kam um drei Uhr in der Nacht. Meine Frau weckte mich, da das Natel mit einem speziellen Ton klingelte.» Als er eintraf, waren bereits zwei andere First Responder da. «Wir konnten aber nichts mehr machen. Die betroffene Person war bereits verstorben.» Nach kurzer Zeit und Besprechung mit dem Rettungsdienst konnte er wieder nach Hause. Wie stark beschäftigen ihn diese Situationen? Er könne gut damit umgehen, so Arnet. In seiner Aufgabe bei der Gemeinde ist er auch Friedhofswart und so oft mit den Themen Tod und Trauer konfrontiert. «Der Tod gehört zum Leben. Bei einer Beerdigung sehe ich es als ehrenvolle Aufgabe, wenn ich den Angehörigen noch etwas mitgeben kann.» Trotzdem, wenn er Gesprächsbedarf habe, tausche er sich mit seinen Berufskollegen aus. Auch könnte er sich als First Responder an ein Care Team wenden, das ihn bei der Bewältigung unterstützt. Bedarf dafür hatte er bisher nicht.

Keine Angst vor Fehlern

Trotz schwierigen Situationen, Erwin Arnet würde jedem und jeder empfehlen, sich das Wissen eines First Responders anzueignen. Es sei wie bei einem Nothelferkurs: Lieber wisse man Bescheid, brauche das Wissen aber nicht, als umgekehrt. Zudem könne ein Herz-Kreislaufstillstand jeden betreffen, so Arnet: «Die Chance ist gross, dass auch mal etwas in der Familie oder im nahen Umfeld passiert.» Das könne auch eine Erstickungsgefahr sein. Dann sei man froh, wenn man wisse, wie in einem Notfall zu Handeln sei. Er könne auch unter hohem Stress klar strukturiert denken, sagt Arnet über sich. Eine Fähigkeit, um die er froh ist.

Angst vor Fehlern hat er keine:

«Das Einzige, was man falsch machen kann, ist nichts zu machen.»

„Ein Patient hat immer bessere Chancen, wenn man etwas macht.» Man höre ab und zu, dass man einem Patienten die Rippen brechen könne bei einer Druckmassage. Das könne vielleicht mal vorkommen. Doch auch dann seien die Überlebenschancen des Betroffenen höher als wenn man nur zuschaue.

Abschalten beim Wandern quer durch die Schweiz

Stört es ihn nicht, dauernd in Alarmbereitschaft zu sein? «Oft bin ich ja sowieso unterwegs in meinem Beruf. Dann stehe ich halt auch mal in Überhosen bei einem Einsatzort.» Gerade die Nähe zum Geschehen sei ja zentral bei diesem System. Arnet weiss: Etwa nach 5 Minuten ohne Sauerstoff entstehen erste Schädigungen am Hirn. Ist jemand rasch vor Ort und bringt das Blut wieder in Schwung, kann das sehr viel bringen. Zudem sei niemand verpflichtet, einen Alarm anzunehmen. Er sagt: «Ist man unterwegs oder hat schon Alkohol getrunken, nimmt man den Notruf einfach nicht entgegen.» Man könne das Telefon auch einfach ausschalten.

Das macht der Buttisholzer, wenn er auf einem seiner Wanderprojekte unterwegs ist. Und zum Beispiel mit einem Kollegen in Etappen rund um den Vierwaldstättersee marschiert oder quer durch die Schweiz wandert vom Genfersee an den Bodensee. Steht dann noch ein kaltes Plättli und ein Glas Weisswein vor ihm, kann auch er bestens abschalten und die Natur geniessen.

Ausgebildete Laienhelfer vor Ort

Seit Juli 2019 gibt es das Projekt First Responder in der Zentralschweiz. Aufgebaut hat es das Luzerner Kantonsspital LUKS mit Unterstützung des Gesundheits- und Sozialdepartements. Kürzlich wurde die Zahl von 2000 Freiwilligen erreicht. Eine Vielzahl Mitwirkender ist entscheidend, denn: von der Alarmierung bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes vergehen laut LUKS durchschnittlich 10 bis 12 Minuten. Mit medizinisch ausgebildeten Laienhelfern, die noch vor den professionellen Rettern vor Ort sind, soll die Überlebenschance bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand erhöht werden und rasch lebensrettende Massnahmen eingeleitet werden.

Geht bei der Sanitätsnotrufzentrale Zentralschweiz ein entsprechender Alarm ein, bietet sie den Rettungsdienst auf und schickt an alle First Responder in der Gemeinde eine Meldung. Das System läuft über eine spezielle App. Sie zeigt in einem Notfall lediglich die Adresse des Einsatzortes. Weitere Informationen zur betroffenen Person oder zum medizinischen Problem erhält der Ehrenamtliche nicht. Er entscheidet, ob er den Alarm annimmt und sich dann so rasch wie möglich zum Patienten begibt.

Für welche Gemeinden man alarmiert werden will, bestimmt der First Responder selber. 2021 wurden 256 Einsätze von First Respondern geleistet. Das LUKS schreibt in einer Mitteilung, dass rund 15 Prozent der Patientinnen und Patienten ihr Überleben dem First Responder – Netzwerk verdanken.

Weitere Freiwillige werden gesucht, die sich als First Responder zur Verfügung stellen. Dafür braucht es eine zertifizierte Ersthelfer-Ausbildung bei Herz-Kreislaufstillstand und den Besuch einer Informationsveranstaltung. Weitere Informationen findet man unter www.firstresponderzentralschweiz.ch.