Der Dinosaurier und sein Dompteur

Ein Dinosaurier aus Buttisholz reisst ein Spital bis auf die Grundmauern nieder. Was wie der Anfang eines Science Fiction – Films tönt, ist Realität beim Einsatz des grössten Rückbaubaggers der Schweiz. Zu Besuch beim Ungetüm A-Rex, geschaffen von der Firma Aregger aus Buttisholz.

30 Jahre ist es her, seit Steven Spielberg mit «Jurassic Park» in den Kinos für Angst und Schrecken sorgte. Im Film lassen Wissenschaftler Dinosaurier auferstehen, die in einem Freizeitpark zur Attraktion werden sollen. Ein schwerer Sturm beschädigt den Hochsicherheitszaun, die Monster brechen aus und das Drama nimmt seinen Lauf.

Ähnlich spektakulär geht es in Solothurn zu, wo der Riesenbagger A-Rex im Einsatz steht. Absperrgitter sichern die Baustelle, Verkehrslotsen regeln den Verkehr, Funkgeräte rauschen. Dem Ungetüm kann man sich bis auf wenige Meter nähern. Zuschauende stehen wie Zoobesucher auf dem Trottoir und blicken gebannt nach oben. Die Baustelle in der Stadt interessiert. Verschiedene Bagger sind schon seit einem Jahr im Einsatz. Sie haben dabei das alte Bürgerspital fast vollständig dem Erdboden gleichgemacht. Ein Teil des Neubaus dahinter steht bereits. Als letztes Mahnmal ragt noch ein 50-Meter hoher Kamin in den Himmel. Er soll bald verschwunden sein. Eingerissen von der riesigen Maschine, die wie ein Skelett in die Höhe ragt und von weither sichtbar ist.

Abrissfans kommen auf ihre Kosten

Der Turm sei eine Art Wahrzeichen und werde fehlen, sagt Romy Eggimann, die mit Sohn Lio nur ein paar Meter neben der Baustelle gemütlich im Gras sitzt – mit bester Aussicht auf das gelbe Monster. Seit der Rückbau letztes Jahr startete, kommt die Solothurnerin fast jede Woche einmal vorbei und sagt, so ein «Riesen-Ding» habe sie vorher noch nie gesehen. Sie sei zu einem Abrissfan geworden. Ihr Sohn liebe Bagger und Baustellen, baue daheim mit Legos die Gebäude nach und reisse sie dann wieder ein – wie das Vorbild draussen vor der Tür. Eggimann ist begeistert von den gewaltigen Dimensionen der Maschine und macht viele Fotos. Ihr Handy sei mittlerweile voll mit Bildern der grossen Baumaschinen, sagt sie und lacht dabei über sich selbst.

Der Abrissbagger mit dem sinnigen Namen A-Rex, angelehnt an den prähistorischen Dinosaurier Tyrannosaurus-Rex, ist an diesem Tag nicht nur bei Eggimann ein beliebtes Sujet. Jugendliche zücken im Vorbeilaufen ihr Handy für einen Schnappschuss, Senioren fachsimpeln über Grösse und Gewicht der Maschine. Ihre Daten sind eindrücklich und übertrumpfen die ausgestorbenen Giganten bei weitem: Gesamtgewicht rund 300 Tonnen, Standfläche 8 x 8 Meter, 757 PS stark und ein Baggerarm, der sich bis auf 70 Meter Höhe ausfahren lässt. Jede der beiden Raupen wiegt 40 Tonnen und ist zwei Meter hoch. Die Maschine, eine Spezialanfertigung der Aregger AG in Buttisholz, hat rund fünf Millionen Franken gekostet und ist seit 2017 im Einsatz.

Komplexe Planung für Abbruch des Kamins

Während die Installationsarbeiten zum Kaminabbruch laufen, steht Polier Matthias Faden hinter der Absperrung und schaut mit zusammengekniffenen Augen nach oben. Faden ist der Aufseher und Wärter des Abrissspektakels. Er behält den Überblick über die Baustelle, ist in Kontakt mit verschiedenen Stellen des Spitals, organisiert Absperrungen und managt den Zeitplan. Immer wieder geht sein Blick hoch zum Kamin, wo der Bagger nun den ersten Beton wegspitzt. Kurz darauf prasseln feine Steinchen wie Regen aufs nahe Trottoir – weggetragen vom Wind in der Höhe. Es gibt Anweisungen per Funk, sofort stoppen die Arbeiten. Faden bittet die Kollegen, die Absperrgitter besser einzukleiden. Der Polier wirkt angespannt, seine Antworten fallen kurz aus. Ist er nervös vor so einem Auftrag? Faden lacht. «Da kannst du meine Frau fragen. Die letzten 14 Tage habe ich nur gesponnen.» Ein solches Projekt sei sehr komplex. Der Kamin stehe an exponierter Lage, Wohnquartier auf der einen, neues Spital auf der anderen Seite, dazwischen eine viel befahrene Strasse. Und Wind, der die Planung erschwere. In Solothurn winde es fast immer, sagt Faden. Der Zeitplan ist eng, viele Stellen sind involviert. Ambulanzfahrzeuge warten tagsüber in der Seitenstrasse auf ihre Einsätze, ihre Garageneinfahrt blockiert der A-Rex.

Ein älterer Herr kommt auf Faden zu und fängt ohne Begrüssung von seinen Erinnerungen an zu erzählen: Er habe vor 47 Jahren den Blitzschutz auf dem Kamin montiert. Dabei sei ein Unfall passiert –  ein Arbeiter sei 50 Meter abgestürzt, direkt auf einen Sandhaufen und habe ohne grössere Verletzungen überlebt. Der Mann geht weiter, seine Augen stets auf den Kamin gerichtet. Matthias Faden schüttelt amüsiert den Kopf, sagt die Geschichte könne er nicht recht glauben. Der Bauleiter hält sich lieber an die harten Fakten. Die Höhe des Kamins hat er selber nachgemessen. 49.6 Meter, fünf Röhren ummantelt von dickem Beton und Armierung, dazwischen eine Art Schottersteine als Schüttmasse.

Neben dem Riesenbagger steht ein zweites Ungetüm – ein sogenannter Raupenteleskopkran, der eine riesige Schutzdecke aufgezogen hat. Die speziell angefertigte Vorrichtung wiegt 14 Tonnen, schmiegt sich wie ein Vorhang um den Kamin und soll die umliegenden Gebäude vor wegspickenden Betonteilen schützen.

Die Kabine ist sein zweites Zuhause

Damit der Dinosaurier seine Krallen ausfährt und den harten Stein zermalmt, braucht es den Dompteur des A-Rex. Winzig klein wirkt sein Name «René», der in weisser Schrift über der grossen Kabine steht. René Rölli, 51, ist ein Bagger-Urgestein und schon seit vielen Jahren für die Aregger AG im Einsatz. Der gebürtige Buttisholzer sagt, die Kabine sei wie sein zweites Zuhause. Wohnlich wirkt es darin jedoch nicht. Bildschirme und Funkgeräte, grosse Fusspedale, zwei Joysticks auf beiden Seiten des Sitzes, viele staubige Knöpfe. Ein massives Gitter fasst den Führerstand ein wie ein Käfig, darüber zig Schläuche, die sich wie grosse Adern zum Ausleger winden.

Der Buttisholzer René Rölli steuert den Riesenbagger A-Rex.

Wenn Rölli über seine Maschine spricht, nennt er sie liebevoll «Rexli». Der erfahrene Baggerführer weiss, wie er das Ungetüm zähmen muss. Nicht rohe Gewalt, sondern Fingerspitzengefühl brauche es beim Abreissen. An ein Gebäude müsse man sich zuerst herantasten und den Widerstand der Mauern spüren. Dazu gehört, die «Finessen» des Baggers zu kennen, um mit ihm sicher zu arbeiten.

Für den Abbruch des Kamins montiert Rölli zuerst einen Spitzhammer auf den Baggerarm. Damit schlägt er ein Loch in die Wand ganz oben beim Kaminschlund. Die Maschine ächzt und keucht dabei,  der mächtige Zahn kracht mehrmals in den harten Beton, bis eine erste kleine Lücke sichtbar ist. Dann bestücken Mitarbeiter den Ausleger mit einem drei Tonnen schweren Betonbeisser, der sich dann wie ein gefrässiges Tier durch die meterdicke Mauer frisst. Der Beton knirscht, Eisen quitscht unter der Wucht der Zange. Steine poltern mit viel Getöse zu Boden, die Ketten des Vorhangs scheppern. Die Kabine neigt sich wie in einer Achterbahn steil nach hinten, damit Rölli gut sehen kann, wie der Greifer 50 Meter weiter oben hantiert.

Ein Gigant – auch für den Transport

Wie lernt man, die Maschine – eine der grössten ihrer Art in Europa – zu bedienen? Rölli sagt, er habe mit kleineren Modellen begonnen, doch dann seien die Bagger «einfach immer grösser geworden». Zuerst 80 Tonnen, später 200 Tonnen schwer. Als er glaubte, das Limit sei erreicht, plante die Aregger AG den A-Rex mit 300 Tonnen Gewicht. Doch nun sei Schluss, glaubt Rölli: «Grösser geht es nicht mehr.» Schon jetzt ist der Transport der Einzelteile eine Herkulesaufgabe. Es braucht mindestens fünf Lastwagen, um die Maschine auf eine andere Baustelle zu bringen. Für jede Raupe einen, dazu je einen fürs Gegengewicht, den Auslegearm und die Kabine. Letztere ist so breit, dass der LKW damit nur in der Nacht fahren darf.

Es sei ein Bubentraum, solch eine Maschine zu steuern, sagt René Rölli. Doch dafür brauche es viel Übung, eine ruhige Hand und einen kühlen Kopf. Man müsse in kritischen Situationen locker bleiben und dürfe nicht «juffle». Denn beim Abreissen könne man nichts rückgängig machen. Rölli sagt, er schlafe auch vor solchen Aufgaben meist gut. Seinen feinen Humor verliert er auch trotz Anspannung nicht. Immer mal wieder gibt es einen Spruch mit den Arbeitskollegen, man lacht auf der Baustelle. 

Bis an diesem Nachmittag plötzlich Hektik aufkommt auf dem Platz. Die Windböen sind stärker geworden. Der bleischwere Schutzmantel um den Kamin beginnt sich wie ein Segel aufzublähen. Sofort stoppen die Arbeiten, der Vorhang wird heruntergelassen. Rasch entscheiden die Verantwortlichen, dass die Arbeiten für diesen Tag beendet werden. Auch wenn am Kamin erst ein kleines Loch klafft. 

Im Jurassic Park sind die Dinos während einem Sturm ausgebrochen. In Solothurn  legt der Wind das Monster lahm, zumindest für diesen Nachmittag. Zu gefährlich wäre es, weiter in dieser Höhe zu arbeiten. Doch zwei Tage später ist das Wahrzeichen des alten Spitals dann verschwunden. Und der A-Rex bereits an einem neuen Ort im Einsatz: in Bilten/Glarus frisst er sich momentan durch eine stillgelegte Grossmetzgerei mit Kühlhaus.