Für einen Artikel über digitale Auszeit habe ich für eine Woche lang auf Internet, Smartphone und Fernseher verzichtet. Ein Experiment mit ausgedruckten Fahrplänen, besorgten Kollegen und fehlenden Selfies.
Wie wohl fast in allen Familien ist auch bei uns die «Flimmerzeit» immer wieder ein Thema. Wir diskutieren mit den Kindern über Inhalte, suchen nach Regeln und legen die Geräte auch mal eine Weile weg. Und wir beschliessen, am Projekt Flimmerpause, also weder gamen noch fernsehen – teilzunehmen. Dabei stelle ich mir die Frage: Wie wäre es, eine Woche lang ganz offline zu sein? Und ich starte das Experiment digitale Fastenzeit.
Die Regeln sollen so aussehen: Ich verzichte eine Woche lang auf Whatsapp, E-Mails, den virtuellen Terminkalender, alle Apps und Push-Nachrichten. Den Computer schalte ich zu Hause gar nicht ein, das Smartphone will ich lediglich als Telefon nutzen – wofür es ursprünglich gebaut wurde. Geplant habe ich den Entzug nicht während einer Ferienwoche irgendwo in den Bergen (wo ich das schon mal gemacht habe), sondern während sieben Tagen, die vollgepackt sind mit Terminen, Arbeit und Ausflügen.
Das Experiment braucht Vorbereitung
Für das Experiment bereite ich mich vor. Ich habe Familie und Freunde informiert und mich in einigen Chat-Gruppen abgemeldet. Ausgedruckt habe ich verschiedene SBB- und Bus-Fahrpläne sowie die nächsten drei Wochen meines Terminkalenders. Ebenso ein paar Mails, die ich in der Woche brauche. Einiges an Papier liegt so auf meinem Pult. Ich beruhige mein ökologisches Gewissen damit, dass ja auch Googeln und Surfen jede Menge Strom verbraucht. Am Sonntagabend schalte ich Internet und Wlan aus und gehe offline.
Montag:

Pfingstmontag ist frei. Ich bin auf den Inlineskates in der Westschweiz unterwegs, mit dabei eine ausgedruckte Karte der Route. Im Gegensatz zur Schweizmobil-App fehlt der blaue Punkt, der meinen Standort anzeigt, ich verlasse mich auf die Wegweiser an der Strecke. Am Ziel in Neuenburg suche ich jedoch den Bahnhof. Ein Glacé-Verkäufer zusammen mit dem Stadtplan an der Info-Tafel helfen weiter. Das Zugticket zurück kaufe ich am Automaten statt auf dem Handy. Fast hätte ich zu Hause die Swisspass-Karte mit dem Halbtax vergessen, die ich sonst auf dem Smartphone zeige.
Am Abend interessieren mich die Resultate der letzten Fussballrunde. Für einmal kann ich nicht auf Fernseher oder Sport-App zugreifen. Und die Nachrichten im Radio gibt’s nur jede Stunde. Ich verzichte aufs Warten und freue mich stattdessen auf die Tageszeitung am nächsten Morgen.
Dienstag:

Ein Arbeitstag im Büro. Hier geht’s kaum ohne digitale Hilfsmittel. Ich rufe Mails ab, checke Websites und plane meine geschäftlichen Termine. Mich hier einzuschränken, käme fast einer Arbeitsverweigerung gleich. Doch für alle privaten Zwecke bleiben Whatsapp und Co. aus. Ich frage mich: habe ich wohl schon etwas verpasst? Hat mir jemand geschrieben und wartet nun auf eine Antwort? Einmal erwische ich mich, wie ich auf dem Smartphone intuitiv die Mails checken will. Den Einkauf auf dem Heimweg zahle ich mit Karte statt mit Twint. Und für die Uhrzeit habe ich sowieso ganz analog eine Armbanduhr.
Mittwoch:

Am Abend steht ein Konzert-Highlight an, Herbert Grönemeyer singt seine Hits in Zürich. Den Zugfahrplan für die Hinfahrt kenne ich auswendig. Das Ticket dazu löse ich problemlos am Automaten statt in der App. Leider gibt’s so keine Sparbillette. Die Eintrittskarten habe ich für einmal ausgedruckt statt online dabei. Vor Ort erfahre ich von einer Kollegin, dass die Vorband abgesagt wurde, das Mail des Veranstalters habe ich nicht gelesen. Dann sorgt Grönemeyer für tolle Stimmung, bei einigen Songs schwenkt gefühlt das ganze Stadion die Natel-Taschenlampe. Ich lasse es in der Tasche, ebenso wie das extra mitgebrachte Feuerzeug – zu exotisch scheint es mir und vielleicht ist es ja sogar verboten. Und auch das obligate Selfie, um die Daheimgebliebenen neidisch zu machen, gibt’s heute nicht.
Donnerstag:

An meinem freien Tag meldet sich ein Kollege per Telefon und fragt für eine Joggingrunde. Da er nicht wie gewohnt whatsappen kann, sagt er, es sei richtig mühsam, mit mir abzumachen, und lacht.
Heute vermisse ich die Podcasts, die ich während der Hausarbeit oft höre, dafür lasse ich das Radio laufen. Den Kinderfahrdienst fürs Sporttraining koordinieren wir meist per Whatsapp. Nun klingle ich an der Haustür der Nachbarn – zuerst erfolglos, später treffen wir uns dann draussen. Ich hoffe, dass im Sportverein-Chat keine kurzfristige Trainingsabsage drin ist wie auch schon mal. Und dass die Schule gerade keine ganz dringenden Meldungen per SchoolApp verschickt. Auch ein paar Rechnungen wären diese Woche noch offen. Den Gang zum Postschalter spare ich mir und verschiebe die Zahlung um ein paar Tage.
Freitag:

Auf der Busfahrt am Morgen vergesse ich fast, ein Ticket zu lösen. Meist checke ich mich auf der SBB-App ganz bequem ein. Da es keinen Automaten hat an der Haltestelle, löse ich für einmal beim Chauffeur und fühle mich dabei ziemlich altmodisch. Im Bus schaue ich statt News-Websites aus dem Fenster und geniesse die Morgenstimmung.
Nach der Arbeit bin ich zum Nachtessen in Luzern verabredet. Treffpunkt und Zeit standen – wie so oft – bis vor ein paar Tagen noch nicht fest. Statt einer Nachricht ruft mich mein Kollege an, er fragt als erstes: «Warum genau machst du das?» Um dann anzufügen: «Vielleicht würde mir das auch mal guttun.» Das ausgesuchte Restaurant kenne ich, Google Maps brauche ich nicht. Dafür die Getränkekarte. Die holt man sich in dieser Beiz üblicherweise aufs Natel, via QR-Code auf dem Tisch. Auf Nachfrage erhalte ich ein ausgedrucktes Exemplar, was ich eh praktischer finde.
Samstag:

Verschiedene Pendenzen stehen an – fein säuberlich notiert auf einem Post-It-Zettel statt in der Notizen-App. Zuerst ein Gang ins Sportgeschäft. Ob es um 8 Uhr schon offen hat? Da ich das Internet nicht fragen kann, gehe ich sicherheitshalber erst um 9 Uhr. Später hole ich eine Fleisch-Bestellung auf einem Bauernhof, wo ich noch nie war. Den Weg habe ich mir noch vor der digitalen Auszeit auf der Karte eingeprägt. Und siehe da, ich fahre auf Anhieb richtig. Und sonst gäbe es ja noch Anwohner zum Fragen. Meinen digitalen Kalender vermisse ich in dieser Woche mehr als einmal, heute geht es um ein Treffen im August. So weit voraus habe ich den Kalender nicht ausgedruckt. Ich verschiebe die Antwort auf nächste Woche.
Sonntag:

Wir treffen uns mit Freunden zum Bräteln im Wald. Ob es noch regnen kommt? Die Wetterapp bleibt für einmal stumm, doch das Risiko ist überschaubar. Und das Natel bleibt für einmal zu Hause, ich vermisse es den ganzen Tag nicht einmal.
Zurück in der Online-Welt
Dann, am späten Abend, betrete ich wieder die Online-Welt. Gespannt schalte ich mein Natel an, es fühlt sich an wie Briefkasten leeren nach langen Ferien. Es bimmelt – 82 Whatsapp- und Threema-Nachrichten, dazu 65 Mails – überschaubar. Habe ich etwas Wichtiges verpasst? Im Quartier-Chat war man auf Besitzersuche für eine herrenlose Karte. In einer anderen Gruppe gab es einen spontanen Grillabend – ich hätte eh keine Zeit gehabt. Persönliche Mails habe ich kaum erhalten, das meiste sind irgendwelche Newsletter oder Spam. Auch Schulinformationen der Kinder waren keine dringenden dabei.
Ich frage mich, was mir die Woche gebracht hat? Eine interessante Erfahrung. Das Smartphone und den Fernseher für die Unterhaltung habe ich nicht vermisst. Zu schön waren die Sommerabende in dieser Woche. Doch gefehlt haben mir ganz viele der kleinen digitalen Helfer, welche mir den Alltag vereinfachen. Und ich habe gemerkt, wie präsent das kleine Gerät in meinem Alltag wirklich ist und wie viel Umorganisation es braucht, um darauf zu verzichten. Diese Abhängigkeit ist irgendwie erschreckend. In einer digitalen Gesellschaft bin ich mir das Nicht-digitale Leben nicht mehr gewohnt. Und doch tut es gut zu wissen: Es ginge auch mal ein paar Tage ohne. Ich werde es mir hoffentlich öfter mal gönnen.