Für die Sommerserie „Unterwegs in den vier Elementen“ gehe ich in die Luft und erlebe bei einem Gleitschirmflug die Faszination des lautlosen Fliegens. Dank guter Thermik segle ich bis vor meine Haustür.
Ich stehe am steilen Hang, atme tief ein und renne auf Kommando los. Ich schaffe drei Schritte, der vierte geht ins Leere. Wir fliegen – hinaus ins Nichts. Nur wenige Meter rechts von uns die steilen Felswände des Pilatus, links entschwindet die Klimsenkapelle. Ich warte auf die Angst, die meine Anspannung ablöst. Doch sie kommt nicht. Im Gegenteil – ich bin geflasht vom lautlosen Schweben und der grandiosen Aussicht und jauchze in die Luft hinaus.
Ein paar Tage vorher habe ich einen Tandemflug-Anbieter angerufen und mit meinem speziellen Wunsch konfrontiert – ein Flug vom Pilatus bis vor meine Haustür in Hellbühl. «Bei guter Thermik ist das machbar», sagt der Gleitschirm-Pilot Marcel Schmid am Telefon. Dass er den gleichen Namen hat wie ich, ist Zufall, gibt mir aber ein gutes Gefühl.

Als wir uns dann um 16 Uhr an der Talstation der Pilatusbahn treffen, scheinen die Bedingungen ideal – ein strahlender Sommertag mit 30 Grad Lufttemperatur. Mein Guide hat mir trotzdem lange Hosen und Windjacke empfohlen, warum werde ich noch merken. Die Pilatusbahn bringt uns auf 2128 Meter über Meer. Für den Start vom Gipfel sind die Windverhältnisse ungünstig, wir gehen in flottem Tempo zur Klimsenkapelle hinunter, wo Marcel Schmid mit geübten Handgriffen seinen grossen Rucksack auspackt. Der Gleitschirm wiegt nur knapp sechs Kilogramm, in der Luft wird er die rund 160 kg von uns beiden tragen. Ich werde festgezurrt an meinen Sitz, darin sitze ich in der Luft so bequem wie in einem Hängesessel.

Auf der Suche nach dem Aufwind
Nach dem Start gleiten wir in die Luft hinaus. Vor uns liegt die Stadt Luzern, der Vierwaldstättersee glitzert magisch. Ich kann mich kaum sattsehen an der weit unter uns liegenden Landschaft. Pilot Marcel Schmid hat andere Gedanken. Er sucht warme Aufwinde, die uns in die Höhe tragen. Um bis nach Hellbühl zu kommen, müssen wir zuerst auf rund 2300 Meter hochsteigen, hat er mir vorher erklärt. Jetzt sind wir nur noch knapp über der Fränkmüntegg, wo sich die Rodelbahn wie ein riesiger Wurm am Hang windet.

Plötzlich fängt der Höhenmesser an zu piepsen – es geht aufwärts. Mit bis zu 3 Metern pro Sekunde kreisen wir nun nach oben und versuchen, im Sog drin zu bleiben. Bald sind wir wieder auf der Höhe des Startplatzes, wenig später über Pilatus Kulm. Damit sollten wir den Flug bis ins Rottal schaffen, der Pilot steuert den Schirm aus der Strömung hinaus.
Die Welt liegt uns zu Füssen
So segeln wir mit rund 40 km/h Richtung Sempachersee. Die Luft in der Höhe ist kühl, zum Glück habe ich lange Kleider angezogen. Die Aussicht von meinem VIP-Sitzplatz ist grandios. Weit unten liegt eine Miniatur-Welt, die fast surreal aussieht.

Der Flug ist viel ruhiger als ich es erwartet habe. Der Schirm hoch über uns flattert nur, wenn der Pilot die Bremsseile etwas anspannt. Auch ich darf diese mal halten, fliege einen 360-Grad Kreis und bin froh, als der Steuermann hinter mir wieder übernimmt.

Marcel Schmid ist ein routinierter Pilot, bietet mit seinem Unternehmen tandemflug.ch Tandemflüge in der ganzen Zentralschweiz an und hat selber schon tausende Flüge absolviert. In seiner Obhut fühle ich mich völlig sicher, auch weil er mir immer wieder kleinste Details erklärt. Er scheint jeden Stein in der Region zu kennen und kann die Luftbewegungen «lesen» und ausnutzen.

45 Minuten nach dem Start kommen die Häuser von Hellbühl immer näher, am Boden sehe ich winkende Kinder. Für den Adrenalin-Kick macht mein Pilot noch ein paar enge Kreise und sticht mit dem Schirm steil nach unten. Dann ziehe ich wie geheissen die Beine hoch und schon landen wir sanft auf der Wiese hinter der Chäsi. Ein Freudenschrei und ein kühles Bier später habe ich immer noch ein breites Grinsen auf meinem Gesicht. Ich schaue hoch zum Pilatus im Abendlicht und weiss: einen solchen Flug habe ich nicht zum letzten Mal gemacht!